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Ein außergewöhnliches Kapitel

Ein Nachruf auf Gerhart Klamert

Am 27. Januar 2022 starb im Alter von 97 Jahren Herr Senator e. h. Gerhart Klamert.


Das Entstehen, das Wachsen und Gedeihen unserer Stiftung sind untrennbar mit dem Namen Gerhart Klamert verbunden. Unablässig hat er mit seiner Fürsorge und Schirmherrschaft das Wachstum der Stiftung gefördert. Er ist Vorsitzender des Vorstandes unsere Stiftung geworden, schließlich Vorsitzender des Stiftungsrates.


Am 17. Februar wurde Gerhart Klamert in seinem Heimatort Oberau im Kreis seiner Familie beigesetzt. Erzabt Notker Wolf OSB stand dem Gottesdienst vor und hielt eine persönliche Ansprache an die Familie. Im Anschluss sprachen der Sohn Gerhart Klamerts, Markus Klamert, Baldur Schweiger von der Bergsteigergemeinschaft Tirol sowie Dr. Thomas Goppel, der Vorsitzende des Stiftungsbeirats.

„Der Krieg prägte meine Lebenslinie und hat sie für immer verändert!“

Rede von Dr. Thomas Goppel

Wer diese Zeile liest, muss ein paar Gedankensprünge gemacht haben, um die Enden einer großen Lebensgeschichte, der von Senator Gerhart Klamert, den wir heute fast 98-jährig auf der letzten kleinen Bergstrecke seiner Existenz begleiten, richtig zusammengefügt zu finden.

 

Die vielen Einzelstationen, die Gerhart in den Jahren erst selbst er- und gelebt, dann in mehreren Folianten zusammengetragen und niedergeschrieben hat, fügen sich zu einem Mosaik, besser: einer Stationenfolge, die sich in den Minuten hier in der Dorfkirche von Oberau, dem Familien-Stammsitz, nur bruchstückhaft und blitzlichtartig darlegen und damit bewahren lässt:


Hier vor Ort, wo Gerhart seine Traudl wieder hat, mit ihr die Eltern wieder zu treffen entschlossen ist, macht schon die Umgebung bewusst: Wer hier daheim war, will hoch hinaus, den Horizont weiten, sehen und gesehen werden, dabei sein, mitmischen. Nur so kann und soll die Welt, die uns umgibt und trägt, ihr Gesicht behalten. Soll die große Welt entscheiden, was gut ist für unsere Tage. Hier wolltest und sollst Du daheim sein auch, wenn seit dem 28. Januar Dein steuernder Pulsschlag fehlt. Wir behalten im Gedächtnis, wie sehr Du in Deinen fast zehn Jahrzehnten mit darum gefochten hast, das Richtige auf die Schienen für kommende Generationen zu setzen.


Abschiedsstunden wie diese sind dazu da, Adieu zu sagen und dem System, welchem wir angehören, zu danken dafür, dass es Dich, lieber Gerhard an Deinen Platz gesetzt und gewähren hat lassen. Und der Start war (im Blick zurück) einer, der - wie es Heinrich Heine sagt – sichtlich eine der Stunden die er mit der Überschrift versieht, die wir heute auch wieder mit der nötigen Zuversicht gebrauchen können: „Allem Anfang wohnt besonderer Zauber inne“, heißt es da. Wie sonst auch wussten Deine Eltern im Juli 1924 nicht, wen sie annahmen und was sie da aufzogen. Wir ahnen es, wenn wir Dich heute ‚auf d’Roas‘ schicken, kennen Deine Bilanz und setzen auf gemeinsame Zukunft, von der wir glauben und annehmen, dass sie uns nicht wirklich trennt, trostfrei zurücklässt. Wir vertrauen auf ein Miteinander, das wir im Hiersein getestet haben, um es in einer anderen, ewigen Welt auch endgültig zu erlangen. Aus Deiner Lebenserfahrung, nicht nur der im Krieg war Dir, unserem bewährten Freund aber klar, dass solche Stunden und Wechsel vorbereiten brauchen. Selbst diese Abschiedsstunde trägt Deine Handschrift. Ja! Wir besiegeln sie als die Restmannschaft, die Du beauftragt haben wolltest. Aber wir sind zusammenbestellt, um an Hand Deiner Bilanz die nächsten Schritte zu planen, dabei zu spüren, dass letztlich kein Plan hält, was wir uns davon versprechen, dass er dennoch eine Linie vorgibt, die uns nötige Orientierung gestattet. Nur der Zusammenhang in der Dreischaft behält uns in jedem neuen Augenblick festen Boden unter den Füßen: Heute, da Du gehst, verändert sich die eigene Aufgabe.: Das Morgen lockt, das Heute schafft die Orientierung, die aus dem Gestern resultiert. Das gibt zu danken, aber auch zu tun. Trauer braucht Platz, aber allzu viel Weile sollten wir der nicht lassen. Auch da warst und bleibst Du Vorbild.


„Will unsere Zeit mich bestreiten, so lass ich es ruhig geschehn; ich komme aus anderen Zeiten und hoffe, in andre zu gehen!“


Du gehörtest in alle Deinen Jahren immer zu den Souveränen, lieber Gerhart. Unruhe und Neugier waren aber das Deine auch. Wissbegierig und ehrgeizig fanden Dich alle Deine Lebensabschnitte. Beim Militär, im Hochgebirge, beim Jagern, im Schützendasein, im Studium, im Beruf, selbst in Deinen freien Stunden warst Du Jäger,Sammler und Filter zugleich, immer und überall dort zur Stelle, wo Du Dich gebraucht wusstest.. Dass es für solchen Umtrieb das Glück einer einsichtigen Familie braucht, erlebten alle, die Dich im Einsatz wo auch immer begleiten durften.


Stets wusstest Du Deine Zeit einzuteilen und zu takten. Zumindest im Nachhinein registrieren wir, dass Du Dich von ihr weder treiben noch jagen ließest: Mit ihr fertig zu werden, verlangt Augenmaß und eine passgenaue Mischung der eigenen Anlagen bei der Realisierung. Erst am Ergebnis lesen wir heute ab, welchen Kraftaufwandes es bedurfte, die je richtige Menge davon zur rechten Zeit parat zu haben.
Gerharts Leistungsbilanz konnte sich immer sehen lassen. Besonderes Aufsehen hat er nicht davon gemacht. Die staatlichen und verbandlichen Institutionen, die mit ihm zu tun hatten oder kriegten, haben das für ihn erledigt. Ein Dutzend öffentlicher Auszeichnungen beweist heute: Gerhart liebte das besondere Tun und, dass es so endete, wie ihm das taugen mochte. Oft, fast immer deckte sich das mit den gesellschaftlichen Erwartungen.


Gerard, Ihr Vater, den alle Welt – mit Ihm befreundet oder fachlich nah – so nannte, hat sich von Anfang an als einer erwiesen, der es verstand, auf allen Gebieten und in seinen Funktionen zu reussieren, so eindeutig, dass das Auftraggeber wie Auftragnehmer darauf vertrauen ließ, dass er der altchinesischen Weisheit zur Geltung verhülfe, dass der eigene Halt verlässliches Ergebnis der Stütze sei, die der Vermittler der je anderen Seite verspricht. Kurz: Gerhard vermittelte seinen Partnern dieses Gefühl der Geborgenheit. Wer ihn im Einsatz und an der jeweiligen Front wusste, wurde nie enttäuscht.


So wie ich haben Dich viele erlebt, lieber Gerhart: Sobald ein Defizit erkennbar gemacht war, dem Du zu Leibe rücken konntest, packtest Du zu. Davon profitiert hat nicht nur Dein Bauindustrieverband, sondern manche andere Institution - vom Alpenverein bis zu den Hochgebirglern im fernen Nepal, die sozialen, ja auch die supranationalen Hilfsorganisationen. Besonderer Nutznießer in Deinem letzten Einsatzjahrzehnt wurde die nach meinem Vater benannte Alfons-Goppel-Stiftung, für die Du in schwierigen Jahren Überlebenshilfe geleistet hast. Wie wohl kaum andere hat die Stiftung Deine Einsatzfreude kennengelernt und davon profitiert, tut es im Sinne ihrer Aufgabenstellung auch unter Deinen Nachfolgern im BBIV bis heute. Wir in der Goppelei danken den Treuhändern allen, Dir besonders.


 Viele Stunden der gemeinnütziger Hilfestellung bleiben Muster für soziales Engagement neben dem Beruf. Unser ‚Chapeau‘, das ich heute sprechen darf, gibt unsere Dankbarkeit nur bruchstückhaft wieder. Gerhard Hess sorgt heute mit uns dafür, dass die Stiftung neue Hürden der Förderung, die sich auftun, so wie zu Deiner Zeit bewältigen kann. - Schade, dass wir die große Schar mit Deiner Hilfe lebensfroh gemachter Kinder aus Südamerika nicht hier haben. Sie würden sichtbar machen, dass sich der Einsatz über die Jahre, Dein Engagement lohnten: Das Kapitel Klamert war und bleibt in der Geschichte der Alfons-Goppel Stiftung ein außergewöhnliches. Du weißt, lieber Gerhard, wie groß die Lücke ist, die wir zu schließen haben, wenn wir Deine Begeisterung für das caritative Engagement in Südamerika weiter lebendig halten wollen. Danke!


Wer hier steht, darf in unserem Danken nicht vergessen, dass der 16. Februar 22 die Stiftung daran erinnert. Dass sie ohne die großzügige und kostenfreie Beherbergung am Oberanger der Fördergedanke unseres Vaters längst den Weg alles Vergänglichen gegangen wäre. Weil wir weiter helfen wollen, ist der Reisestopp in die Ewigkeit, den Du auf halber Strecke in Oberau einlegst, fast ein Wink für uns, die nach einem Todesfall stets hohe Geschwindigkeit in der Veränderung des Alltagsbetriebes zu unterlassen zu erbitten: Dein phänomenaler Hilfsakt, die Stiftung mietfrei zu stellen, sichert in Ecuador Nachwuchsbildung fast noch mehr als die Patenschaften, die den Familien in Südamerika den Rücken freihalten und unerlaubte Kinderarbeit reduzieren hilft.


Vor allem Corona ist daran schuld, dass wir heute in ganz kleiner Runde ‚gute Reise, einen glücklichen ‚Wohnsitzwechsel‘‘ für Dich wünschen. Als wir Zwei darüber sprachen, dass dieser Tag eine außergewöhnliche Vita nachvollziehbar machen werde, ahnten wir nichts von den besonderen Umständen, die uns zusammenholen würden. Heute ahnen wir, dass wir zwar wünschen und daran arbeiten, der Zukunft Um- und Zustände zu verpassen, die uns die schlimmen Passagen Deiner Vita ersparen. Ob wir mit unseren Vorhaben durchdringen, Frieden und Freiheit, die Deine Generation erstmals für fast acht Jahrzehnte beschaffen und sichern konnte, beizubehalten, steht aktuell eher in den Sternen. Zu viele haben die Erfahrungen nicht gemacht, von denen Du den Deinen erzählt und die Du uns aufgeschrieben hast.


Das Licht der Welt hat zuerst von Dir Kenntnis genommen in Jägerndorf, dort, wo in der ersten Jahrhunderthälfte des vorläufig letzten nachbarstämmig Wunden geschlagen und geschlossen wurden. Du selbst hast später die Heimat das „Land zwischen den Mächten“ genannt. Und es hat viele Opfer gekostet, daraus eine sichere Scholle zu machen. Du , Gerhard, hast Deine Pfadfinderfreiheit der ‚Anfälligkeit für Feindbilder‘ ausgesetzt gesehen und alles dafür getan, dass Euch die Heimatgeborgenheit nicht genommen wird. Du redest von der ‚Formzeit‘, die Du mit 17 Lenzen absolvierst und da schon zum Frontmann gemacht bist, weil die folgenden Jahre nicht nur neue Fronten aufwachsen sahen , sondern auch mehrfach Verwundung bescherten, bevor sich die Familie damit abfinden musste, zu den Vertriebenen zu gehören. Neustarts auf der ganzen Lebensstraße, ganz ohne den so verherrlichenden „Zauber“ von Heinrich Heine. Du legst bei der Eingliederung ein Tempo vor, das Deine weitere ‚Menschwerdung‘ bestimmt: Sechs Semester Jurastudium, Anwalt schon 1955, Deine Experimentier- und Expeditionslust wird sprichwörtlich. Stellenwechsel bringen Dich bis nach Südafrika. Deine Freunde und Bekannten wissen bald: Du willst hoch hinaus, lieferst in allen Bereichen Belege dafür: beim Bergsteigen, beim Jagern, im Beruf. Zwischen den Gipfeln, die Dich locken, wird geheiratet, beruflich in München gelandet. Traudl, die Auserwählte, ist der Glücksfall seines Lebens, hält ’das Sach‘ zusammen und ist von da an lebenslang zentrale Anlaufstelle – für Gerhard und die drei Sprößlinge.


Dich, Gerhard, verschlägt es zur TELA im Hause Siemens und dann als Hauptgeschäftsführer zum BBIV. 25 Jahre lang, den Rest Deiner beruflichen Einsatzzeit bewährst Du Dich dort als politischer und gesellschaftlicher Spurenleger, -leser und -sicherer. Köpfe wie Du garantieren dem Freistaat eine gute Zeit, solides Wachstum, wirtschaftliche Prosperität und großes Ansehen in einer zusammenwachsenden Welt der EU und darüber hinaus.


1974 – mitten in Deinen Einsatz hinein – kriege ich den Wählerauftrag, im Landtag als jüngster Abgeordneter neben dem väterlichen Ministerpräsidenten Impulse zu setzen. Wir lernen uns bald kenn und mögen, weil wir Beide eine Vorliebe dafür haben, aktuell Anstehendes nicht lange zu diskutieren, sondern umzusetzen. Du lässt mich – eine wichtige Zusatzlehre wurde das – hineinschmecken in die wirtschaftliche Denke, die Pädagogen eher nachrangig beschäftigen. Im regelmäßigen Gedankenaustausch entsteht gegenseitiges Verständnis, das wir dann auch einbringen: Du lässt mich erfahren, dass wir im Freistaat vor lauter Abiturgläubigkeit übersehen, dass die Welt mindestens so viele Praktiker braucht. Von dem wechselseitigen Gewinn im Planen profitierten wir bis zuletzt. Die Begegnung mit Dir gehört zum Unverzichtbaren eines Politikerdaseins. Und heute liegt mir daran, dass Dein Bericht gegenüber dem Ewigkeitsprotokoll nicht zu erwähnen vergisst, dass wir uns mit vielen anderen darüber ärgern, dass die himmlische Vorhersehung so lang nichts gegen die einseitige Verkopfung der Arbeitswelt tut. Umsatzerhöhend ist das in der Ausschließlichkeit überhaupt nicht.


Die Funktion des Hauptgeschäftsführers in einem Verband wie dem für die Bauindustrie war Dir Gerhart, auf den Leib geschneidert. Wo andere aus Deiner Nachbarschaft gern repräsentierten, Direktiven ausgaben oder Missstände diskutierten, die sich besonders gerne durch den erhobenen Zeigefinger dokumentieren lassen, war Dein Part weitgehend der vermittelnde, der ergebnisorientierte. Wann immer ich mit Dir zu tun hatte oder kriegte, empfand ich Dich als fürsorglichen Mitstreiter, als einen, der bei jeder anfallenden Operation als erstes an die Bereitstellung notwendiger Verbandsmittel dachte, dabei aber auch den Einsatz derselben bestens zu organisieren wusste.

 

Lass mich, lieber Gerhard, auf Deinen eigenen Lebensleitsatz zurückkommen, den ich eingangs zitiert habe: „Der Krieg prägte meine Lebenslinie und hat sie für immer verändert.“ Da sind sie in einem Satz versammelt, Deine sieben Sinne, die Dein Leben, Dein Tun und Denken, Dein aufmunterndes Denken in Fragezeichen, Dein Hinschauen und Hinhören, Dein zupackendes Wesen, Dein empfindsames Empfinden gleichermaßen bestimmten und auszeichneten. Man durfte und konnte sich auf Dich einlassen, sich bei Dir auslassen, konnte mit Dir loslassen, besonders aber: stets unbedingt verlassen.


Wir alle, die wir hier sind, lassen Dich ungern los, weil es Dein Leben lang eine Daueraufgabe war, Dich und sich an einem wie Dir festzuhalten. Nicht nur von Dir ist jetzt die Umkehr verlangt: Lass uns den Abstand von Dir gewinnen, den es braucht, um Dich in den Qualitäten zu erkennen und im Gedächtnis zu behalten, die neugierig auf neues Leben bescheren! Nur wir alle sind das Mosaik, das uns angriffslustig gegenüber der Zukunft sein und bleiben lässt. Verzagtheit war und ist das Deine nicht, auch wenn Du das Gottvertrauen, dem mancher alles zuschreibt, eher unmerklich in Anspruch genommen hast.


Lass Dir von zwei ehrlichen Freunde, die heute nur Deinetwegen in Oberau Halt machen, um Dir zu- und nachzuwinken, den Wunsch ‚aufd Roas‘ mitgeben: Gott befohlen ! Lebe wohl ! Adieu! Noch nicht so bald, aber dafür umso lieber!

 

(Es gilt das gesprochene Wort)